Ein Meer aus Glücksseligkeit – Erzählung von Daniela Noitz

Du hast Deinen Kopf auf mein Bein gebettet. Weil es sich eben so ergab. Ich saß und Du kamst zu mir, noch ein wenig verträumt, versponnen in das Geschehene, das das Leben uns schenkte. Versonnenen streicht meine Hand durch Dein Haar. Du hältst die Augen geschlossen, während ich Dich ansehe, nur ansehe und meine Hand das Übrige tut. Wir sind zurück am Strand. Man kann nicht ewig schwimmen. Der Mensch ist nicht für das Wasser gemacht. Er kann darin bleiben, eine gewisse Zeit, doch irgendwann muss er wieder heraus. Auch wenn es das Wasser der Glückseligkeit ist. Man hält es nicht aus, nicht für immer. Langsam trocknet meine Haut, während es noch nachwirkt und meine Hand die Feuchtigkeit aus Deinem Haar streift. Wir sind gemeinsam geschwommen.

Meine Hand ruht nun, während Du Deine Augen noch immer geschlossen hältst. Eine Weile noch, eine kleine, dann werden wir aufstehen und gehen. Du an den Platz, an den Du gehen musst und ich an den meinen. Es ist so. Doch das Meer vergisst man nicht, wenn man es einmal gespürt hat. Es trägt einen zurück. Miteinander oder alleine. Es ist nicht leicht alleine zu schwimmen. So wurde es uns gelehrt.

„Pass auf beim Schwimmen“, hat man mir gesagt, „Du schaffst das nicht alleine. Das Meer ist viel zu groß. Alleine geht man unter.“

Dabei würde ich nirgends lieber untergehen, als in einem Meer der Glücksseligkeit. Aber wir durchschwammen es gemeinsam. Es war nicht immer so.

Als erst, da wir uns begegneten, da war es, als wäre das ganze Land verödet. Doch als Du mich an der Hand nahmst, damals, da begann es zu regnen. Zunächst. Es ist immer ein kleiner Anfang. Man springt nicht einfach so ins Wasser, wenn man nicht weiß, ob man tatsächlich miteinander schwimmen kann. Es war nur eine Pfütze. Vorsichtig setzen wir die Füße hinein. Wie leicht verwechselt man es. Wasser sieht immer gleich aus. Misstrauen und Verstimmung hat dieselbe Konsistenz wie die Glücksseligkeit, auch die Freude. Man weiß es im Vornherein nie so genau. Doch es war Freude gewesen. Und ein Stück Annäherung. Warm war es und einladend. Wir hatten es erfahren. Und die Lacke wurde zum Teich. Er war nicht tief. Wir konnten hindurchwaten. Es hatte sich nichts geändert. So dass wir uns weiter vorwagten, in einen See, in dem wir unsere ersten Schwimmversuche wagten. Und siehe, es klappte. Ab und an tauchten wir den Kopf unter Wasser. Die Fische schwammen um unsere Füße, das Seegras kitzelte sie. Es gab viel zu lachen. Einfach so, ohne besonderen Anlass. Dem See folgte das Meer. Wir trauten es uns zu und taten gut daran, es zu durchschwimmen von einem Ufer bis zum anderen, das Meer, das in die Unendlichkeit zu reichen scheint. Unsere Kraft reichte aus. Es ist nicht leicht so lange zu schwimmen, nicht benommen zu sein von diesem Übermaß an Glück. Glückseligkeit. Verbundenheit. Ewigkeit der Verbundenheit. Es ist nicht zu ertragen. Die Kraft gab uns die Liebe, gibt uns die Liebe, mutmaßtest Du. Doch ich blieb skeptisch. Liebe kann vieles, doch nicht alleine.

Nur, wenn sie dem Leben verbunden ist, das sie nährt, kann sie die Kraft geben das Meer zu durchschwimmen, von einem Ufer zum anderen. Wenn wir das Lebendige nicht achten, in all seinen Facetten und Formen, nicht achten und bestaunen und lassen, dann kann auch die Liebe nichts ausrichten. Als ein Teil des Lebens, das wir sind, bloß ein Teil des Allumfassenden und Allzusammenhängenden, kann die Liebe sein. Wir haben es gelernt. Ein Frosch sprang aus der Pfütze, an der wir unsere ersten Versuche wagten. Still hielten wir. Ihn nicht zu vertreiben. Es ist sein Platz genauso wie unserer. Wir können uns arrangieren, ohne verdrängen zu müssen, wenn wir das Leben und das Meer erreichen wollen. Wir wollten und wir wollen. Wiederum eintauchen, schwimmen, ab und an uns treiben lassen, um irgendwann wieder ans Ufer zu kommen. Die Sonne trocknet unsere Haut, während Dein Kopf auf meinem Bein liegt und meine Hand darauf ruht, bevor wir uns wieder auf den Weg machen, irgendwohin und aus dem Irgendwohin zurückkehren, uns aufs Neue im Schwimmen zu probieren, im Meer der Glücksseligkeit, das schon immer war, das wir uns immer aufs Neue zugänglich machen und uns schenken.

Daniela Noitz

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